Tuesday, December 1

Die Verwirrungen des Zöglings Törleß - Robert Musil

Überblick

  • 1906 erschienen, 1903 entstanden
  • Entwicklungsroman
  1. Törless leidet in der Internatsschule an Heimweh
  2. Pubertät > schließt sich zwei Schülern an (Beineberg und Reiting)
  3. Basini stiehlt Geld von Kameraden
  4. Basini wird von RB gequält
  5. Törless zugleich angezogen und abgestoßen von Quälereien
  6. bleibt innerlich leer und einsam
  7. durch eine Art Lynchjustiz wird Basini von RB gestraft
  8. Törless wird von der Schule verwiesen

Inhalt

In »guter Gesellschaft« zeichnet sich Internatsschule zu W. durch angestammtes Prestige aus. Dennoch leidet »Zögling« Törleß unter Lebensbedingungen. Beginn Erzählung verweist auf strukturbestimmenden Konflikt zwischen »ästhetisch intellektuellen« Natur des Individuums Törleß und gesellschaftlich sanktionierten und kollektiv vorhandenen Wirklichkeit des Instituts. Musils Desinteresse an objektiven Bedingungen dieser Wirklichkeit. Im Sprachstil reflektierter Einfühlung beschreibt er fast ausschließlich Konflikt, den radikale Subjektivität der Psyche des Törleß heraufbeschwört. Ihrer Entwicklung folgt Musil konsequent. Sie beginnt mit Leiden des Kindes, führt über zentrales Motiv der Erzählung, die »Verwirrungen« des pubertären, und schließt mit nahezu erwachsenen Törleß, der sich selbst neu bestimmt. Törleß ist demnach biographische Erzählung einer Individuation, weshalb sie Bildungsroman ähnelt. Auf »unwirtliche Fremde« des Instituts reagiert Törleß mit »Heimweh« nach Schutz seiner Eltern - für Musil Anlaß, um in Figur Törleß Psychologie der Sehnsucht nach zweiten, imaginären Wirklichkeit darzustellen. Was »Heimweh« ist, gilt Erzähler als »seelische Kraft«, die sich zunächst nur »unter Vorwand Schmerzes« äußert. Mit beginnender Pubertät verebbt sie dann und Törleß schließt sich Schülern Beineberg und Reiting an, die »bisweilen bis zur Rohheit wild und ungebärdig« sind. Vom »animalischen« Gehabe Kameraden zugleich angezogen und abgestoßen, verharrt Törleß in Zustand Ichspaltung. Gleich dem Kind verwandelt pubertäre Törleß gegebene Realität in Bilder sehnsüchtiger Phantasien, die sich jetzt allerdings um Symbole einer noch unbekannten Sexualität anlagern. So wartet er auf »fürchterlicher, tierischer Sinnlichkeit«. Nach Episode mit gealterten Dorfhure Bozena, die in Törleß bürgerliche Moral und sexuelle Phantasien zugleich bestätigt, bricht ersehnte Ereignis dann auch tatsächlich herein. Allerdings zerstört nicht »tierische Sinnlichkeit« die alltäglichen Verhaltensgewohnheiten, sondern ein Eigentumsdelikt des Schülers Basini. Dessen Entdeckung wollen Beineberg und Reiting geheimhalten, um Basini privat überwachen und selbst bestrafen zu können. Törleß hingegen ahnte von Anfang an eine innere Verwandtschaft zwischen seinen sexuellen Phantasien und Basinis Diebstahl. Da er wie Basini gegen die moralische Postulate seiner bürgerlichen Erziehung verstieß, fühlte er die Gemeinsamkeit des gleichen Konflikts. Anfänglich blieb das vage Empfindung. Jetzt allerdings ist auch die normenwidrige Sexualität der Phantasie des Törleß entrissen. Er projiziert sie gänzlich auf Basini. Dadurch rückt sie aber aus der »Phantasie ins Leben« und wird »bedrohlich«, weshalb Basini auch für Törleß eine »wichtige Rolle« spielt. Beineberg und der machtlüsterne Reiting einigen sich zunächst, Basini gemeinsam zu foltern. Der Sadismus des Törleß äußert sich im Gegensatz dazu sublim. Da ihn an den Handlungen der anderen ohnehin nur interessiert, was allein er für wichtig hält, nämlich: Auskunft zu erhalten über die ihm noch fremde Unmoral der Gefühle, quält er Basini später nicht durch physische Mißhandlung, sondern durch psychische. Er will, daß Basini reflektierend bewußt erlebt, was er tat; er wünscht ferner Aufklärung über dessen homosexuelles Verhältnis zu Reiting und Beineberg. Das Interesse des Törleß wird dadurch zum Ebenbild der Erzählabsichten Musils. Erfährt Basini seine Handlungen gleich einem nicht weiter zu befragenden Schicksal, so hat Törleß (wie Musil) einen anderen Begriff vom »Handeln«: Es geht nicht aus der dumpfen Kausalität des Schicksals, sondern aus der verstehbaren Kausalität der »Seele« hervor. Für Törleß verlieren Basinis Verfehlungen daher jede psychische Tiefe, die »Bedrohung« scheint verschwunden, kurz bevor sie sich unversehens kreatürlich äußert: Basini verführt Törleß. Wiederum in einem Zustand der Ichspaltung befangen, reagiert dieser zugleich mit Scham, Verachtung und einer »neuen Leidenschaft«. Allerdings ist Basini, so stellt Musil fest, für Törleß nur Initiation eines »ziellosen Hungers«, der alsbald über ihn hinauswachsen wird. Die Feststellung ist wohl vorbereitet. Insbesondere die Meditationen des Törleß über die imaginäre, »ziellose Grenzenlosigkeit« seiner Erlebnisse verwiesen schon vorher darauf. Freilich ist die Krise hier wie in den meisten Erzählungen Musils notwendig, um verwirklichen zu können, was als Ziel der Individuation vorweg definiert ist: die kulturelle Autonomie der Person, die aus dem »Wachstum der Seele, des Geistes«, einer »leidenschaftlichen« Innerlichkeit, hervorgehen soll. Am Ende der Krise des Törleß steht der Entschluß Beinebergs und Reitings, Basini nun doch den Schülern auszuliefern. Als sich diese in laienhafter Lynchjustiz austoben, entsteht ein schulinterner Skandal, als dessen Folge nun auch Törleß sein Verhalten rechtfertigen muß; die homosexuelle Phase kann jedoch vertuscht werden. »Mit beinahe dichterischer Inspiration« repräsentiert er sich und seine Interessen schließlich vor dem Leiter und den Lehrern der Schule; vor einer quasi stellvertretenden Öffentlichkeit findet er sein Selbstverständnis. Er begreift jetzt die radikale Subjektivität seiner Psyche und ihren klassischen Konflikt mit einer Umwelt, deren inhumane Praxis durch moralisch verbürgte Konventionen kaum beeinträchtigt wird. Eben deshalb wird er von den öffentlichen Repräsentanten dieser Umwelt auch nicht verstanden. Gestörte Kommunikation, von Anfang an Symptom des strukturbestimmenden Konflikts, schließt die Erzählung ab. Konsequent stimmt folglich die Entscheidung des Törleß, aus dem Institut auszutreten, mit dem Entschluß des Lehrer-Kollegiums überein, ihn zu entlassen, da man sich seiner Erziehung nicht länger gewachsen fühle. Für eine zwar versteckte, dennoch aber stark ausgeprägte autobiographische Thematik spricht zunächst weniger, daß sich viele Fakten belegen lassen, mehr, daß zahlreiche und gerade die wichtigsten Erzählmotive und ihre Bedeutungen aus der Biographie Musils selber stammen, insbesondere das Leiden am Internat »W.« (Musil selbst war Schüler in Mährisch-Weißkirchen; Tagebuch 1937-1942, Nr. 95, 156, 184) und das Erlebnis jugendlicher Homosexualität (Tagebuch 1903); schließlich, daß die Lebensform des Törleß und Musils psychologisches Erzählinteresse sich entsprechen - was zu ständigen Identifikationen des Autors mit seinem Helden führt; und vor allem, daß die Identitätsschwierigkeiten des Törleß die aus der fundamentalen Erfahrung des Widerspruchs zwischen Ichideal und kollektiver Wirklichkeit resultieren, Musils eigenes Selbstverständnis widerspiegeln, das er ausführlich in den Tagebüchern bereits zur Entstehungszeit der Erzählung niedergelegt hat. In Törleß inszeniert Musil sich folglich selbst, freilich nicht in plumper Reproduktion biographischer Tatsachen. Vielmehr entwirft er in Törleß eine Rolle, die seinem Selbstverständnis genau entspricht und verstreute biographische Erfahrungen im Rahmen des beherrschenden Konflikts der Erzählung in sich aufnehmen kann. Das verweist auf den stark individualpsychologisch belasteten Literaturbegriff von Musil überhaupt: Die sozial nur äußerst schwer vermittelbare Innerlichkeit, vorrangiges Thema der Tagebücher und des Törleß, findet in der literarischen Einsamkeit, im Akt des Schreibens und Lesens, ein angemessenes Medium, um sich unbeschädigt äußern zu können. Kulturell idealistisches Selbstverständnis und Kritik an der Kulturferne bürgerlicher Wirklichkeit ergänzen sich deshalb wie im Törleß so auch in den Tagebüchern Musils, eine Dialektik, die Musil nach dieser Erzählung eindeutig erst wieder im Mann ohne Eigenschaften darstellt. Gerade die autobiographische Verbindlichkeit bestimmt denn auch den Rang des Törleß: Als ästhetisches Dokument für die Sprache der »Seele«, als psychologisches Dokument für ihre Widersprüche, deren Analyse mit anderen Voraussetzungen Freud zur selben Zeit begann; als soziologisches Dokument für Selbstverständnis und Rollenkonflikt eines Schriftstellers mit radikal subjektivem Kulturidealismus, der übrigens dazu beitrug, Musil am Ende seiner Karriere in berufliche Erfolglosigkeit, soziale Vereinsamung und wirtschaftliche Not hineinzutreiben - späte, bittere Wirklichkeit zum Erzählthema des Törleß.

Inhaltsangabe

Heimweh und Freundschaften

Romananfang beschreibt, wie Törleß, ein Schüler eines Elite-Internats (”Konvikt zu W.”) sich von Mutter verabschiedet. T erbat Aufnahme im Konvikt zu W., empfindet jedoch recht schnell Heimweh. Schreibt T regelmäßig Briefe.

T freundet sich mit Prinzen an, Freundschaft endet jedoch abrupt nach Streit über Religion. Später verlässt Prinz Internat.

Neue Freundschaften

Törleß verkehrt mit Beineberg und Reiting, Schülern des Konvikts, ebenfalls aus wohlhabenden Familien. Diese legen rohe Manieren und Äußerungen an den Tag.

T besucht mit Beineberg Bozena, eine Prostituierte. T distanziert sich im Gegensatz zu Beineberg jedoch, hält sich also zurück und hängt eigenen Gedanken nach. Bei Bozenas anzüglichen Erzählungen vergleicht T Mutter mit Bozena und erschreckt vor Gedankengang.

Basini - der erniedrigte Dieb

Im Laufe der Zeit tritt Basini in Geschehen ein. Basini schuldet R und B sowie anderen Internatsschülern Geld - kann jedoch nicht zurückzahlen.
In Gespräch besprechen R, B und T wie mit B zu verfahren sei. T äußert im Gespräch, es sei nötig die Leitung des Konviktes zu informieren und Basini
des Internats verweisen.
R und B quälen ihn wegen der Schulden. Während
B Quälerei spirituell begründet schlägt bei R Tyrannei durch.

So wird Basini im Verlauf des Romans von B/R erniedrigt, auch mit sexuellen Hintergrund.

Mathematik

Törleß macht sich nach Mathematikstunde Gedanken über imaginäre Zahlen und erbittet bei seinem Lehrer klärendes Gespräch. Lehrer: Bis T verstanden hat muss er es einfach glauben. T ist von Gespräch enttäuscht, kauft Philosophie-Buch von Kant.

Basini und Törleß

Während Beineberg und Reiting daheim sind, verführt Basini T sexuell. Es wird darauf hingewiesen, dass es zu Begegnung nicht durch Neigungen sondern durch noch bestehende Orientierungslosigkeit dazu gekommen wäre.

Törleß finale Flucht

Später gehen Basinis Erniedrigungen weiter, während R Basini möglichst stark demütigt, versucht sich B an Basini zwecks Menschenerkentniss. Jedoch misslingt Hypnose-Experiment und B peitscht Basini brutal aus.

T nehmen Geschehnisse mit; rät Basini sich zu stellen und alles zuzugeben, um sich aus Netz der Abhängigkeiten zu befreien. So hatten es auch Törleß Eltern ihm in Brief empfohlen. T flieht, wird in Nachbarort wieder aufgefunden und von Lehrern verhört. Der Rektor kommt zu Schluss, T sei zu vielen Reizen ausgesetzt und habe Konvikt zu verlassen. Zugleich schickt T Brief, er wolle nicht weiter Konvikt besuchen.

Figurenübersicht

Törleß

Einführung in einer auffallend trostlos gestalteten Situation der Trennung mit anschließendem Rückblick auf die letzten vier Jahre im Konvikt.

  1. Verlassenheits- Einsamkeitsängste
  2. Sehnsucht nach Elternhaus
  3. Ambivalenz
  4. Fürst als psychologisches „Studienobjekt“
  5. Anfreunden mit den „übelsten seines Jahrgangs“ (RB)
  6. Verlust eigener Mitte
  7. Einsamkeit/Erotische Phantasien
  8. Mutterbindung
  9. Geschlechtliche Zurückhaltung nach Bahnhofsszene
  10. Sinnliche Visionen
  11. Bozena: Sinnlichkeit
  12. Verwirrungen durch Basinis Diebstahl („Wie ein überfall“)
  13. Ambivalenz T‘s Gefühle: Sexuelles Begehren/ bedrohliche Beklemmung
  14. Verführung: Basini ermöglicht T seine ödipalen Wünsche auszuleben
  15. Motive für ständige Selbstreflektion: Neigung alle psychischen Vorgänge reflektieren und rational erklären zu wollen

Textanalyse

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Einleitung

Bei dem zu analysierenden Textauszug handelt es sich um eine Szene aus Robert Musils Entwicklungsroman „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“. Der Roman entstand 1903 und wurde 1906 veröffentlicht. Er behandelt die geistig-seelische Entwicklung der pubertären Hauptfigur - des „Zöglings“ Törleß - und dem darausresultierenden Konflikt zwischen der »ästhetisch intellektuellen« Natur des Individuums Törleß und der gesellschaftlich sanktionierten und kollektiv vorhandenen Wirklichkeit des Instituts. Die Handlung ist uwährend seiner Internatsleben

Hauptteil

Inhalt und Aufbau des Textes

  1. inhaltliche Zusammenfassung des Textes
  2. inhaltlicher Aufbau

Inhalts- und Sprachanalyse

  1. argumentative Strukturen des Textes
  2. sprachliche Mittel zur Aussagengestaltung

Funktionszusammenhang von Inhalt, sprachlicher Form und Aussageabsicht des Textes

Bewertung des Textes

  1. Beurteilung der Wirkung des Textes
  2. Bestimmung des Adressatenkreises

Schluss

Allgemeine Beurteilung des Gesamttextes bzw. der Aussageabsicht und Wirkung

Haupt-Themen

Probleme und Konflikte der Pubertät unter dem Aspekt einer „bürgerlich-autoritären Erziehung um 1900 und ihrer Institutionen“

Aufkommen des Faschismus; Militarismus vor 1. Weltkrieg

Aufbau und Struktur

Der 1.Teil beschreibt das Heimweh von Törless (schickt zahlreiche Briefe an Eltern; fühlt sich im Internat nicht wohl)

Der 2. Teil beschreibt die anwachsende Pubertät des Zöglings; (kein Heimweh mehr; schließt sich Beineberg und Reiting an) > Quälereien beginnen

Form und Sprache

Prosa

Autobiographischer Stil

Allgemein verständliche und moderne Sprache

Zentrales Thema

Erzählzeit

Ellipse: Auslassung, Zeitsprung

Analepse: Rückblende, Zeitsprung in die Vergangenheit

Prolepse: Vorausschau, Zeitsprung in die Zukunft

Anachronie: eine Geschichte wird nicht in der Reihenfolge erzählt, in der die Ereignisse zeitlich geschehen

Dehnung (innerer Monolog)/Raffung (Sie reiste nach Berlin)/Deckung (Dialog)

Erzählstil

Erzähler (monsieur le vivisecteur) als Vermittler am Anfang des Romans nicht anwesend.

Ab Vergleich mit Puppentheater: Auktorialer Erzählmodus, ein nicht mit dem Autor gleichzusetzender, innerhalb der fiktionalen Welt allwissender Erzähler arrangiert das Geschehen.

Erzählpersönlichkeit profiliert sich als psychologisch gebildet und über ein analytisches Differenzierungsvermögen verfügend. Sie begleitet mit geschultem diagnostischem Blick, fachlich korrekter Begrifflichkeit und reflektierter Lebenserfahrung die Entwicklung der Hauptfigur.

In der Figur des Erzählers lässt sich eine Projektion des gedanklichen und emotionalen Profils von Musil selbst sehen.

Erzähler versucht die Funktionsweise menschlichen Denkens und Gefühlslebens durch genaue Beobachtungen seiner selbst und anderer Menschen zu analysieren.

Erzähler profiliert sich als Person, die Denkweise Erlebnisse korrigiert, ergänzt, auffächert und in einen größeren Zusammenhang einordnet. Wirbt beim Leser um Verständnis für Verhalten indem er die Motivstruktur darlegt.

Erzählverhalten

auktoriales Erzählverhalten

(der allwissende Erzähler, z. B.: "Georg kam rechtzeitig zum Termin und freute sich, er ahnte nicht, was auf ihn zukam", besonders deutlich bei Kommentaren, Hinwendungen an den Leser, Degressionen etc..)

Personales Erzählverhalten

(der Erzähler erzählt aus Sicht einer Figur, Figur ist Raumträger z. B.: "Georg sah auf die Uhr. Er würde rechtzeitig kommen. Jetzt sprang doch die Ampel auf Rot, Mist.")

neutrales Erzählverhalten

(Fakten und Vorgänge werden sachlich beschrieben. Gespräche werden ohne Bemerkungen - wie bei einem Protokoll - wiedergegeben. z. B. Max von der Grün: Das Stenogramm)

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